Wiedergekommen, um zu bleiben

Sie wollten in einer anderen Stadt ein Zuhause finden. Am Ende sind sie wieder nach Bremen zurückgekommen. Mit ihren Karriereplänen, ihren Familien, ihren Ideen. Warum? Das habe ich drei Rückkehrer:innen gefragt. Marlene Abeling ist eine davon.

Oft wissen wir erst, wie gut etwas war, wenn wir es nicht mehr haben. So kann es passieren, dass wir voller Vorfreude in eine andere Stadt oder vielleicht sogar in ein anderes Land ziehen – und dann enttäuscht feststellen, dass wir dort nicht so glücklich werden wie wir es zuvor waren. Oder aber die neue Heimat passt für einen gewissen Lebensabschnitt gut, für den nächsten aber so gar nicht. Oft fangen Menschen dann nicht nochmal ganz neu an, sondern kehren zurück in ein vertrautes Umfeld. Gerade dann, wenn sie eine Familie gründen.

Bundesweite aussagekräftige Studien zu inländischen Rückwanderungen gibt es noch nicht. Und auch in Bremen gibt es derzeit keine Zahlen, wie viele Exil-Bremer:innen in die Hansestadt zurückkommen. Mein persönlicher Eindruck: Es sind gar nicht so wenige. Drei von ihnen habe ich beispielhaft zum Interview getroffen, um herauszufinden: Warum genau sind sie nach Bremen zurückgekehrt? Als Erstes hat mir Marlene Abeling ihre Geschichte erzählt.

 

Marlene, Ecuardor & der Brexit

Von Bremen nach Ecuador. Dann nach Edinburgh. Anschließend London. Nochmal Ecuador, dann Berlin und wieder zurück nach London. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Marlene Abeling seit ihrem Abitur vor 13 Jahren ordentlich herumgekommen ist.  »Nach der Schule wollten meine Freunde und ich alle raus aus Bremen, es konnte uns gar nicht schnell genug gehen«, schmunzelt sie beim Blick zurück.  »Raus aus der Stadt der Eltern, das bedeutete: der Beginn von etwas Eigenem.«

Und Marlene konnte es gar nicht eigen genug sein. Ihr erstes Vorhaben – Spanisch lernen – wollte sie auf keinen Fall dort in die Tat umsetzen, wo alle es tun. So entschied sie sich für Südamerika. Schon in dieser Zeit traf sie ihren heutigen Mann.  »Damals war das aber einfach ein guter Freund meines Spanischlehrers, mit dem ich oft meine Freizeit verbracht habe. Mehr war da nicht.« Insgesamt ein Jahr lebte Marlene in Ecuador, dann begann sie, in Schottland zu studieren. Jura und Soziologie.

Nach zwei Jahren, unterbrochen von einem Sommeraufenthalt in London, kehrte sie dann noch einmal nach Ecuardor zurück. Wieder für berufsvorbereitende Erfahrungen. In dieser Zeit kreuzten sich die Wege mit ihrem heutigen Mann erneut  – und dieses Mal wurde eine Liebesbeziehung daraus. Dass sie von Dauer sein würde, hat sie nicht unbedingt gedacht, als sie zurück nach Edinburgh musste, um ihr Studium zu Ende zu bringen.  »Eine Long Distance-Beziehung? Naja, dachte ich, wir schauen einfach mal.«

 

Long Distance-Beziehung in Edingburgh, WG in Berlin, Hochzeit in Bremen

Die Beziehung hielt – und ihr damaliger Freund versuchte im folgenden Sommer zunächst erfolglos, ein Visum für England zu bekommen. Beim zweiten Anlauf klappte es. Als Marlene mit ihrem Studium fertig war und erst für das kommende Jahr einen Job in London in Aussicht hatte, verschlug es die beiden dann nach Berlin.  »Das Verrückte war, dass mein Mann derjenige war, der in Europa bleiben wollte. Ich hatte immer gedacht, wir würden zusammen nach Ecuador gehen«, erzählt die heute 32-Jährige. Berlin war dann eine chaotische Zeit aus Visaanträgen, fehlenden Arbeitserlaubnissen und der behördlichen Auflage, eheähnliches Zusammenleben nachzuweisen, um aus eben diesem Chaos herauszukommen.  »Das war nahezu unmöglich, denn nicht mal unsere Wohnsituation entsprach der, die dafür notwendig gewesen wäre.« Und so entschieden sich die beiden, zu heiraten.

 

 

»Bremen ist perfekt für Leute, die typischer Großstadtmensch sein wollen, aber in Wahrheit doch auch Sicherheit und ein klein wenig Kleinstadtfeeling brauchen.«

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2014 wurde Hochzeit gefeiert. In Bremen. In den Weserterrassen. Kurz danach ging es wieder nach London, wo Marlene drei Jahre als Unternehmensberaterin im Einsatz war. Alles lief gut –  dann kam die erste Brexit-Abstimmung. Plötzlich war England nicht mehr der Ort, an dem sich Marlene sicher fühlte. »Dieser Tag war unfassbar erschütternd für alle zugewanderter Europäer, die in England lebten und arbeiteten. Wir fühlten uns so unerwünscht.« Da nicht klar war, ob nicht in den nächsten Monaten oder Jahren irgendwann der Punkt käme, an dem die ihren Job in London nicht mehr fortführen kann und gleichzeitig das Thema »Nachwuchs« immer mehr in den Vordergrund rückte, entschied sich das Paar, England zu verlassen. Und nach all den Umzügen der vorausgehenden Jahre endlich einen sicheren Hafen anzusteuern.

„Zurück nach Bremen? Diesen Gedanken habe ich mir lange nicht erlaubt.«

 

»Zu diesem Zeitpunkt war das Letzte, was ich wollte, wieder die Strukturen einer Gesellschaft und einer Stadt neu zu erlernen«, erinnert sich die damals schwangere Marlene. Ihr Mann hatte bereits zuvor einige Male vorgeschlagen, nach Bremen zu ziehen, für sie selbst sei das aber zunächst undenkbar gewesen. »Lange Zeit habe ich das als Rückschritt empfunden, als Abschied vom ganz eigenem Leben, von der eigenen Karriere. Ich habe mir den Gedanken einfach nicht erlaubt. Als ich dann aber über den künftigen Familienalltag nachgedacht und mich an meine schöne Kindheit erinnert habe, wurde mir klar: Genau das wünsche ich mir für meine Kindern auch.«

Seit dreieinhalb Jahren wohnt Marlene nun mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen (3,5 Jahre & 5 Monate) in Peterswerder. Sie arbeitet als Geschäftsführerin eines Anbieters für Klassenreisen nach – na klar – England. Jüngst hat Marlene zusätzlich ein berufsbegleitendes MBA- Studium begonnen. Ihr Mann Chris ist als Elektriker auf Großbaustellen im Einsatz. Für die Familie ist Bremen der sichere Hafen, den sie sich gewünscht hatte. “In Peterswerder, besonders in unserer Straße, fühlt sich alles sehr dörflich an, aber in einem angenehmen Sinne«, beschreibt Marlene. »Denn anders als auf dem Dorf guckt einem hier niemand bewertend auf den Teller, aber es ist gleichzeitig auch nicht anonym.« Auf die Frage, was ihr persönliches BREM-Gefühl ist, antwortete sie ohne Zögern: »Bremen ist perfekt für Leute, die typischer Großstadtmensch sein wollen, aber in Wahrheit doch auch Sicherheit und ein klein wenig Kleinstadtfeeling brauchen. Mich haben die Großstädte, in denen ich gelebt habe, am Ende überfordert. Hier bin ich jetzt angekommen, ich kann Großstadt erleben, aber mich auch hervorragend in meinen Stadtteil verkriechen, wenn mir das zu viel wird.«

Text: Sandra Lachmann