Potential der Zwischennutzung: 10 Jahre Café Radieschen

 

Leerstand muss nicht sein. In Bremen hat man das schon vor mehr als zehn Jahren erkannt und die »Zwischenzeitzentrale« gegründet. Sie ermöglicht vor allem kreativen Geschäftsideen, Räumlichkeiten zu finden. Und manchmal schafft es ein temporär angelegtes Projekt sogar in die Verstetigung, wie der 10. Geburtstag vom Café Radieschen beweist.

Text: Elena Tüting & Sandra Lachmann, Fotos: Shanice Allerheiligen

Als Eva-Maria Oelker, die man in Bremen unter dem Namen »Eva Radieschen« kennt, am  28. August 2011 in einer leerstehenden Friedhofsgärtnerei ihr »Café Radieschen« eröffnete, hat sie nicht gedacht, dass es an genau der gleichen Stelle einmal seinen 10. Geburtstag feiern würde. Denn eigentlich war die Nutzung des Gebäudes auf ein Jahr begrenzt. Zwischennutzung eben. Das bedeutet auch, das Gebäude in dem Zustand zu mieten, in dem es sich befindet, häufig zu einer sehr viel geringeren Miete. Ohne diesen temporären Charakter und die finanzielle Entlastung hätte Eva das Café niemals eröffnet, wie sie selber sagt:

 

 

 

»Nein, ich hätte mich nicht getraut, irgendwoher Geld zu besorgen, alles auf eine Karte zu setzen und eine hohe Miete zu zahlen. Unter den Umständen hätte ich es nicht gemacht.« 

Eva Maria Oelker
Gründerin des Cafe Radieschen

Was Eva da beschreibt sind Überlegungen, die die Zwischenzeitzentrale Bremen (ZZZ) gut kennt. Und an denen sie ansetzt. Sie vermittelt Menschen mit kreativen und experimentellen Projekten vorübergehende vergünstigte oder gar kostenfreie Nutzungsmöglichkeiten von leerstehenden Räumen. Das Projekt schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe:

– Leerstand wird vermieden und Gebäude bleiben durch die Nutzung erhalten

– die jeweiligen Stadtviertel werden belebt

– kreative, aber wirtschaftlich (noch) nicht stark aufgestellte Projekte bekommen eine Chance, sich auszuprobieren

Der temporäre Charakter, mit dem Eva das Radieschen eröffnete, schreckte die damals 33-Jährige nicht ab – ganz im Gegenteil. Der experimentelle Charakter hat sie ebenso gereizt wie der besondere Standort, der zur Friedhofskapelle in der Bremer Neustadt gehört.  „Ich finde das Temporäre total reizvoll und das ist auch für die Stadtentwicklung wichtig, denn das geht nicht ohne die Kreativen. Wenn man denen keinen Raum gibt, dann kann ein Stadtteil nicht florieren.“

Als Kulturmanagerin bei der Schwankhalle war sie mit zeitlich begrenzten Projekten vertraut und nicht abgeschreckt. Sie entwickelte ein Cafékonzept, das mit traditionellen Gerichten und nostalgischer Einrichtung die Gäst:innen zum Erinnern einlädt und damit den Standort in Friedhofsnähe feinfühlig aufgreift.

 

Café Radieschen

 

Ein Ort wird langfristig wiederbelebt

 

Oliver Hasemann, Dipl. Ingenieur Raumplanung und strategischer Kopf der der Zwischenzeitzentrale, erinnert sich auch noch gut an den Start des Café Radieschen: »Damals gab es die ZZZ seit zwei Jahren, das Café Radieschen war eines unserer ersten Projekte. Ein Projekt, das von Anfang an durch die große Eigeninitiative von Eva, die Unterstützung der Schwankhalle Bremen und der Stadt sehr reibungslos lief.«

Bald nach der Eröffnung zeigte sich: Das Cafékonzept kommt gut an. Nicht nur Eva und ihre Gäst:innen, sondern auch die Stadt wünschte sich eine Verstetigung des Projektes. Nach vier Jahren mit befristeten Verträgen wurde das Gebäude daher mit der nötigen Küche und Toiletten ausgerüstet und ein langfristiger Pachtvertrag abgeschlossen. »Damit wurde das Café Radieschen zu einer der ersten verstetigten Zwischennutzungen in Bremen«, sagt Hasemann.

Der Erfolg des Café Radieschen lässt sich auf das besondere Konzept zurückführen, mit dem Eva den Standort und die Verbindung zum Friedhof Buntentor aufgreift. »Ich will den Tod ein bisschen ins Leben holen, deswegen ist das hier auch kein Trauercafé mit grauen Wänden. Bei uns geht es ums Erinnern, sei das durch die Pellkartoffeln oder Senfeier auf der Karte oder die weißen Tischdecken«, erklärt Eva. Und tatsächlich wirkt die Einrichtung des Cafés mit rosagrünen Wänden, Familienfotos, Häkeldeckchen und antikem Geschirr liebevoll nostalgisch. Eva will ihre Gäste anregen, sich Fragen zum Tabuthema Tod zu stellen und ihr Lebensende, ihre eigene Bestattung und Trauerfeier, aktiv mitzugestalten. Dass ihr das gelingt, wird dadurch deutlich, dass sich im Radieschen Jung und Alt wohlfühlen. Bei Eva kommen junge Paare ins Grübeln über den eigenen Tod und langjährige Stammgäste äußern den Wunsch, dass ihre Trauerfeier hier stattfinden soll.

 

Von Underdogs zu Vorreitern

 

Zum dynamischen Team der ZZZ gehören neben Oliver seine Mitstreiter:innen Daniel Schnier, Dipl. Ing. Architektur und kreativer Kopf des Teams, Julian Essig, Freiraumplanung und kühler Kopf für das Bürokratische und Seraina Herbst, Kuratorin für künstlerische Projekte. Sie freuen sich über eine Verstetigung, ein zentrales Ziel ihrer Arbeit ist es allerdings nicht : »Uns geht es zunächst einmal darum aufzuzeigen, dass man Gebäude so, wie sind, nutzen kann und dass die auch wieder in eine langfristige Nutzung gehen können. Dass man nicht immer abreißen und neu bauen muss. Und wir wollen Leute unterstützen, die wirtschaftlich noch ganz am Anfang stehen und auf der Suche nach Raum sind, um ihre Ideen auszuprobieren und zu realisieren.“

 

»Ich glaube, auch in anderen Städten wird das Thema Zwischennutzung bald stärker unterstützt. Gerade durch das ganze Thema Innenstadtentwicklung wird es so kommen müssen, weil damit die meisten Städte zu kämpfen haben.« 

Daniel Schnier
Zwischenzeitzentrale Bremen

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Seit sich die ZZZ 2009 in Bremen gegründet hat, haben sich die Bedeutung und Bewertung von Zwischennutzungsprojekten in der Hansestadt stark gewandelt. Mittlerweile müssen Daniel und Oliver nicht mehr so stark dafür kämpfen, dass Gebäude und Gelände wiederbelebt werden dürfen. »Es gibt ein generelles Verständnis, welches Potential die Zwischennutzung für die Stadtentwicklung besitzt. Wir sind sie nicht mehr die Einzigen, die sich für das Thema einsetzen, sondern andere Akteure wie die City Initiative, die WfB und verschiedene Stadtteilinitiativen treiben unterschiedliche Formen der Zwischennutzung voran.«

In Bremen stünden Politik und Verwaltung hinter dem Thema und sonst wäre das in der Form gar nicht möglich, so Daniel. Und sagt weiter: »Ich glaube, auch in anderen Städten wird das Thema Zwischennutzung bald stärker unterstützt. Gerade durch das ganze Thema  Innenstadtentwicklung wird es so kommen müssen, weil damit die meisten Städte zu kämpfen haben.« In einigen Städten fehle es aber noch an Erfahrungswerten, wie sich solche Projekte umsetzen lassen und welche Schritte nötig sind.

 

Zukunftspläne

 

Eva Maria Oelker hat auch nach 10 Jahren noch nicht genug von ihrem anfangs temporären Caféprojekt, sondern schmiedet weiterhin Pläne für die Zukunft. Die Speisekarte soll noch nachhaltiger werden, am Wochenende soll es ein Frühstücksangebot geben und Bienenstöcke sollen auf dem Dach des Cafés ein Zuhause finden. Ein Backbuch steht auch schon lange auf ihrer Liste. Zum Jubiläum hat sie sich allerdings nicht für eine große Sause entschieden, sondern beschenkt sich stattdessen mit einem Urlaub.

Zukunftspläne gibt es auch bei der ZZZ. Das Gebäude, in dem sie ihre Zentrale haben, die ehemalige Wurstfabrik Könecke, ist in neue Hände gekommen. Es gibt also viel auszuhandeln. Spannend bleibt auch, wie es mit der ehemaligen Galopprennbahn weitergeht, die aktuell von unterschiedlichen Schul-, Sport- und Veranstaltungsprojekten bespielt wird. Da wird sich noch zeigen müssen, wie die Zwischennutzungsprojekte in die langfristige Nutzung hineinpassen. Über die entscheidet der “Runde Tisch Galopprennbahn”, der sich aus Vertreter:innen der beteiligten senatorischen Ressorts, der lokalen Wirtschaft, der Bürgerinitiative, Vertreter:innen der lokalen politischen Repräsentant:innen und der Ortsämter, sowie weiterer Interessensverbände und Initiativen zusammensetzt. Sie verfolgen eine Etablierung von Freizeit, Kultur- und Sportangeboten, in die sich einige der Zwischennutzungsprojekte bereits gut integrieren lassen.

Last but not least hat Corona die Arbeit der ZZZ stark beeinflusst. Viele Gastro- und Kulturprojekte mussten pausieren, gleichzeitig ist die Nachfrage nach Büroflächen gestiegen.  »Durch die Pandemie hat sowohl die Zahl der zur Verfügung stehenden Gebäude als auch die der Nachfragen nach Räumen zugenommen, so dass wir auch in Zukunft noch viele neue Projekte bewegen werden.«