»Wir haben eine gemeinsame Vision.«


 

Im wachsenden Stadtteil Huckelriede wird ein für Bremen einmaliges Schulkonzept umgesetzt: der Kaisen-Campus, bestehend aus Oberschule, Grundschule, KiTa, der Circusschule Jokes, Mensa, Bibliothek und Gemeinschaftshaus. Im Interview berichten die Konrektorin der Helene-Kaisen-Grundschule Silke Wulfestieg und der Schulleiter der Wilhelm-Kaisen-Oberschule Oliver Seipke von der Teamarbeit und von der Vorbildfunktion, die Wilhelm und Helene Kaisen für die Arbeit und das Projekt haben.

Interview: Elena Tüting, Fotos: Shanice Allerheiligen

Das Besondere des Kaisen-Bildungscampus:  die Schüler*innen werden am selben Ort und von einem multiprofessionellen Team von der KiTa bis zur Oberschule betreut und beschult. Dadurch sollen Brüche in der Bildungsbiografie der Kinder verhindert und die Übergänge zwischen den Schulformen besonders ineinandergreifend gestaltet werden. Das Leitbild des Campus versteht Bildung ganzheitlich und schließt deshalb bewusst außerschulische Lernorte mit ein. Zum Campus gehören deshalb ein Garten, die Circusschule Jokes und zukünftig auch ein Gemeinschaftshaus für Veranstaltungen, die nicht nur den Campus, sondern den gesamten Stadtteil beleben werden. Für den Bau der noch ausstehenden Gebäude hat die Stadt Bremen 70 Millionen Euro eingeplant und die ist damit das größte geplante Schulbauprojekt. Der Weser Kurier berichtet, dass in Bremen in den nächsten zwei Jahren 200 Millionen Euro investiert und fünf weitere neue Schulen gegründet werden.

Silke Wulfestieg ist seit der Gründung der Helene-Kaisen-Schule 2018 am Bildungscampus tätig und kann sich seit einem Jahr in der Funktion der Konrektorin an der Wilhelm-Kaisen-Grundschule für die Entwicklung dieses neuen Schulkonzepts einsetzen. Oliver Seipke ist seit 2015 Schulleiter an der Wilhelm-Kaisen-Oberschule und gab in dieser Funktion den ersten Anstoß für die Gründung der Grundschule in einer Beiratssitzung –  um den steigenden Schüler*innenzahlen in der Neustadt und in Huckelriede gerecht zu werden. Seitdem ist das Projekt schon um einiges gewachsen. 

Welche Leitidee steckt hinter dem Konzept des Kaisen-Bildungscampus?

Silke Wulfestieg: Wir haben uns für den Begriff Bildungscampus entschieden, weil so die Schulen, die KiTa sowie die außerschulischen Lernorte alle gleichberechtigt mit einbezogen werden. An allen Lernorten geschieht Bildung und alle Orte haben ihre Berechtigung und Wichtigkeit.

Oliver Seipke: Wir sind ja der Kaisen-Bildungs-Campus und verstehen das Bürgermeister-Ehepaar Helene und Wilhelm Kaisen mit ihren Idealen und ihrer Haltung als Vorbild. Wir legen Wert auf eine ganzheitliche Bildung, bei der es immer auch um den Menschen, also um das Kind geht. Wir vermitteln unseren Schüler*innen nach dem Vorbild der Kaisens Gemeinschaftssinn und Hilfsbereitschaft und organisieren regelmäßig Spendenaktionen und unterstützen so Hilfsorganisationen. 


»Wir fördern schon ab der Grundschule das Demokratieverständnis der Schüler*innen mit unterschiedlichen Projekten. Dadurch weht bei uns der Kaisen-Geist auf dem Campus.«

Oliver Seipke, Schulleiter der Wilhelm-Kaisen-Oberschule

Silke Wulfestieg: Wichtig finde ich auch, dass Wilhelm Kaisen als Bürgermeister vormittags im Rathaus regiert und nachmittags auf seinem Hof gearbeitet, Tiere versorgt und den Acker bestellt hat. Deswegen sind unser Gemeinschaftsgarten und die dazugehörigen Bienen für uns so wichtig, weil wir dadurch vermitteln, dass wir nicht nur mit dem Kopf arbeiten können, sondern auch einen Ausgleich brauchen, um gesund zu bleiben. Das gehört für uns ebenso zum Lernen dazu und das hat Wilhelm Kaisen wunderbar vorgelebt.

Wie lernen die Schüler*innen auf dem Campus?

Silke Wulfestieg: Gerade in der Grundschule arbeiten wir in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen. Wir haben gemischte Gruppen im Jahrgang eins und zwei und im Jahrgang drei und vier, so dass die Klassen in allen vier Jahrgängen durchaus eng miteinander zusammenarbeiten. Unser Ziel ist eine wirklich individuelle Arbeit, bei der wir die Kinder da abholen, wo sie stehen. Und natürlich ist diese jahrgangsübergreifende Arbeit auch in der Kita vorhanden, weil die Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren dort in einer Gruppe sind, und dieses Konzept können wir in der Grundschule weiterführen.
 

Oliver Seipke: In der Oberschule knüpfen wir an das an, was die Kinder mitbringen, an Rituale, Lernschritte und das individualisierte Lernen. Wir setzen die Lernplanarbeit in den Jahrgängen fünf bis sieben fort und dort sind wir auch verlässliche Ganztagsschule. Mein Wunsch wäre es, dass wir bis zur zehnten Klasse eine Ganztagsschule anbieten können. 

Welche Angebote gibt es denn für die Schüler*innen schulformenübergreifend, welche Synergien entstehen durch die Nähe von KiTa, Grundschule und Oberschule?

Silke Wulfestieg: Zum einen gibt es die abgestimmte Bildungsarbeit von null bis zehn Jahren, also von Kita und Grundschule. Dafür haben wir jetzt über drei Jahre gemeinsame Parcours für Mathe, Deutsch und Sachunterricht entwickelt, bei denen dann die Kindergartenkinder in die Schule kommen und die Schulkinder die Expert*innen für ein Thema sind, mit dem sie sich beschäftigt haben. Dann gibt es noch einen Parcours, der im Kindergarten durchgeführt wird, bei dem dann die Schulkinder wieder in den Kindergarten gehen. Dabei geht es immer um ein naturwissenschaftliches Thema, bei dem dann die Kita-Kinder die Expert*innen sind und den Schulkindern die Stationen zeigen und erklären, was da jeweils zu tun ist. Das letzte Modul ist jetzt gerade am Ende der Entwicklung. Das beschäftigt sich mit dem ästhetischen Bereich und wird jetzt vor den Sommerferien wieder in der Kita stattfinden. Wir entwickeln ein Theaterstück, das wir gemeinsam mit einer Partner-Grundschulklasse begleiten. Ein weiteres besonderes Angebot ist ein regelmäßiger Motorik-Kurs, den wir jetzt schon seit zwei Jahren, insofern Corona es zugelassen hat, für Kita-Kinder und Grundschulkinder zusammen durchführen.

Oliver Seipke: Wir haben verschiedene andere übergreifende Angebote: Für die Jahrgänge fünf bis sieben haben wir Werkstätten mit Angeboten, in denen sich die Schüler*innen ihren persönlichen Neigungen und Interessen widmen können. Dabei arbeiten wir auch mit Externen zusammen, zum Beispiel mit Wissenschaftler*innen, Schauspieler*innen oder Musiker*innen. Wir nutzen außerdem die Circusschule jahrgangsübergreifend. Wir konnten unsere Einschulung zum Beispiel im letzten Sommer im Zirkuszelt durchführen. Dies war ganz fabelhaft und für die Kinder ein besonderes Erlebnis. Die Schüler*innen des sechsten Jahrgangs haben die Einschulung für die neuen Fünften vorbereitet, kleine Kunststücke aufgeführt und durch das Programm geführt.
 

Silke Wulfestieg: Wir dürfen auch den Garten nicht vergessen, der von allen Jahrgängen übergreifend gepflegt wird. Die Grundschule ist jetzt im dritten Jahr Schule bei der Gemüse-Ackerdemie und die Oberschule ist in diesem Jahr mit eingestiegen, sodass wir diesen Acker von Klasse eins bis zehn bestellen und alle diese ganzheitlichen Erfahrungen machen können: Ich pflanze was, ich kümmere mich, ich sehe, wie etwas wächst und gedeiht, ich pflege etwas. Die Ernte ist dann mein Lohn und mein Erfolg.

Oliver Seipke: Die Circusschule Jokes zieht auch Kinder auf den Campus, die nicht hier zur Schule gehen und dadurch haben wir immer Leben auf dem Campus, auch wenn mal kein Schulbetrieb ist. In den Sommerferien findet immer ein tolles Ferienprogramm statt, welches von den Kindern sehr gerne angenommen wird. 

Der Campus hat viele verschiedene Vorteile für die Schüler*innen, wie sieht es denn mit den Lehrkräften aus, welche Vorteile haben sie?

Oliver Seipke: Es ist natürlich ein ganz großer Vorteil, dass wir verschiedene Professionen am Standort haben. Unser Team besteht aus Erzieher*innen, Schulsozialarbeiter*innen und das Lehrerkollegium, aber auch das nicht-pädagogische Personal wie die Köch*innen und viele Externe, die auf dem Campus tätig sind. Es ist ein multiprofessionelles Team, welches sich immer auf kurzem Weg erreichen kann. 
Wir haben regelmäßig gemeinsame Sitzungen und eine hohe Kommunikationsdichte. Das ist natürlich ein riesiger Vorteil. Auch, wenn es einen fachlichen Engpass geben sollte, kann man sich immer gegenseitig helfen. Und ja, wir haben auch durchaus Beschäftigte bei uns am Standort, die sich sehr dafür interessieren, nach Möglichkeit auch in Grund- und Oberschule tätig zu sein. Ich denke, das ist noch mal ein besonderer Reiz hier zu arbeiten.

Silke Wulfestieg: Aus unserer Sicht hat das noch mal eine andere Bedeutung. Als wir 2018 erst ganz klein angefangen haben, haben wir gemerkt, dass wir das nur gemeinsam tragen können. Das hat wunderbar funktioniert, gerade durch diesen regelmäßigen Austausch, die Ehrlichkeit und einfach die Lust am Gestalten. Nur so kann ein Campus entstehen, der nicht nur für die Schüler*innen Durchlässigkeit bietet, sondern auch für die Pädagog*innen, Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen. 
 


»Es ist wichtig, dass wir uns als ein Team verstehen und die Expertisen der anderen einholen können.«

Silke Wulfestieg
Konrektorin Helene-Kaisen-Grundschule

Gerade in der Grundschule brauchen wir manchmal Beratung, wie wir Kinder für den Übergang in die Oberschule nochmal mehr fördern können. Und auch aus der Oberschule kommen oft Fragen wie: Habt ihr da nochmal andere Ideen für uns? Es ist so, dass wir uns da wirklich als ein großes multiprofessionelles Team sehen.

Sie gelten mit dem Campus in Bremen als Vorreiterprojekt. Was können andere Schule von Ihnen lernen?

Silke Wulfestieg: Wir glauben, dass es so gut bei uns funktioniert, weil wir viel kooperieren. Wir stehen hier Seite an Seite. Das ist das, was wir leben, was wir nach innen, für die Schüler*innen, für die Kolleg*innen, fürs Team vermitteln und das wirkt dann auch in den Stadtteil hinein.