„Wie bei einem Freund im Wohnzimmer“

 

Ein Naturwissenschaftler und ein Einzelhandelskaufmann eröffnen einen Biergarten und ein Restaurant – was klingt wie eine Comedy-Serie, ist in Wahrheit eine Geschichte über eine langjährige Freundschaft. Wir haben mit den beiden Inhabern Georg Meyer und Devrim Torba über ihr Herzensprojekt und ihre außergewöhnlichen Werdegänge gesprochen.

Text: Nicolas Schiffler 

Es ist ein stürmischer Tag mit Nieselregen in der belebten Einkaufsstraße im Herzen des Bremer Stadtteils Findorff. Fußgänger mit Regenschirmen und tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen blicken in die Schaufenster von bunten Blumenläden, gemütlichen Kaffees und alteingesessenen Bücher- und Spielwarengeschäften. Auf dem Weg zum Findorffmarkt, dem örtlichen Wochenmarkt, fällt in der Hemmstraße ein vorstehendes Altbremer Haus ins Auge: Es ist das Bistro „Lilie“. An diesem herbstlichen Donnerstagnachmittag versorgt gerade ein lokaler Weinhändler das gemütlich-rustikale Lokal mit neuem Rebensaft. „Den Bio-Wein trinken unsere Gäste so gerne, daher brauchen wir häufig Nachschub“, erklärt Georg Meyer, während er mir einen Platz an einem Holztisch mit Sitzbank anbietet.

Hinter der holzverkleideten und mit gelbem Licht beleuchteten Theke steht Devrim Torba. Er schließt ein Bierfass an und bestückt im Anschluss die gläsernen Blumenvasen auf den Tischen im Gastraum. Der Boden knarzt unter den Füßen und der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee liegt in der Luft. Gemeinsam mit Georg Meyer betreibt er das Restaurant in der Findorffer Fußgängerzone. „Das Bistro ist unser Herzensprojekt. Dabei setzen wir seit dem ersten Tag auf frische und regionale Produkte. Das Wichtigste ist aber: Hier ist jeder willkommen“, sagt Torba. Die beiden Gastronomen lernten sich vor über 20 Jahren in der Bremer Club-Szene kennen – nach Abstechern in andere Großstädte und Berufszweige, eröffnen sie 2008 die Lilie.

Ein Westfale in Bremen: „Die Stadt hat mich direkt fasziniert.“

Aber von Anfang an: Georg Meyer studierte in Bielefeld Biologie, physikalische Chemie und molekulare Genetik, bevor er in die Hansestadt zog.

„Ich hatte Bremen durch einen gemeinsamen Freund im Studium schon einmal kennengelernt – und die Stadt hat mich direkt fasziniert. Die Menschen hier sind unkompliziert, entspannt und freundschaftlich. Ich habe dann nach meinem Studium für ein paar Jahre im Viertel gewohnt“, berichtet er.

Der gebürtige Westfale arbeitete lange Zeit als Naturwissenschaftler und baute eine internationale Laborkette für DNA-Analysen in Lebensmitteln auf. Bei seinen Geschäftsreisen ist er in der Welt herumgekommen: Unter anderem besuchte der Globetrotter Hongkong, New Orleans sowie Melbourne. Nach einer gescheiterten Fusion seines Unternehmens, kehrte der Wahlbremer der Wissenschaft den Rücken zu. „Ich stellte mir damals die Frage, wie es für mich beruflich weitergeht. Mir kam dann die Idee, in Bremen einen Bunker zu kaufen und ein Hot-Pot Restaurant zu eröffnen. So etwas kannte ich aus meinen Auslandsreisen in Asien“, erzählt der heutige Gastronom.

 

Etwa zur gleichen Zeit arbeitete Devrim Torba in einem Modehaus und kellnerte nach Feierabend in einem Lokal in der Bundeshauptstadt.

„Die Freundschaft zu Georg blieb über die Jahre immer bestehen – obwohl ich in Berlin lebte und er in Bremen. Irgendwann reifte in mir der Gedanke, ebenfalls zurück in die Hansestadt zu ziehen. Berlin war mir zu hektisch geworden“, erklärt der Modeliebhaber.

Meyer ergänzt: „Devrim hatte damals sogar die Idee, ein Klamottengeschäft zu betreiben – ich fand es total faszinierend in eine andere Welt einzutauchen“. Doch es kam anders: Nach der Fertigstellung des modernisierten Torfhafens in Findorff, eröffneten die beiden im Jahr 2007 den Biergarten „Port Piet“.

 

„Noch eine Woche vor der Eröffnung unseres Biergartens haben wir Bretter angeschraubt. Die Verkleidung war noch gar nicht fertig“, schmunzelt Torba als er sich zurückerinnert. Das in Windeseile auf die Beine gestellte Konzept findet großen Anklang: Insbesondere der bis dato in Bremen eher unbekannte Flammkuchen wurde zum Erfolgsrezept. „Unsere Gäste kamen teilweise nur aufgrund der angebotenen Speisen zu uns. Am Anfang kochten wir noch in einer provisorischen Küche. Das Geschirr brachte ich täglich aus meiner WG mit – es war wie auf dem Campingplatz“, berichtet Georg Meyer. Aufgrund der positiven Resonanz und der bevorstehenden Wintermonate, beschlossen die beiden Gastwirte parallel zu ihrem Biergarten ein Restaurant zu eröffnen. Und so entstand wenig später aus einem ehemaligen Second-Hand-Geschäft die Lilie.

Kunst und Kulinarik unter einem Dach

Es ist eine außergewöhnliche Geschichte: Aufgrund einer engen Freundschaft eröffnen ein Naturwissenschaftler und ein Einzelhandelskaufmann gemeinsam zunächst einen Biergarten und wenig später ein Restaurant. „Ohne Devrim und seine Erfahrung in der Gastronomie, hätte ich das auch nie gemacht“, gesteht Meyer. Und noch etwas ist besonders in der Lilie: Künstler stellen ihre Werke an den Wänden des Speiselokals aus. In einem Turnus von zwei bis drei Monaten bewundern Gäste neue Fotografien, Malereien oder Zeichnungen. Die aktuelle Ausstellung trägt den Namen „Dicke Pötte“ und zeigt Containerschiffe aus Bremerhaven.

 

Eine schwere Holztreppe führt in den zweiten Stock des Altbremer Hauses. In der oberen Etage finden zusätzliche Gäste Platz. Die beiden Räume sind geschmackvoll eingerichtet und mit gemütlichen Sofas sowie einem Klavier ausgestattet. „Wenn ich in einem der beiden Zimmer stehe, habe ich das Gefühl, ich bin bei einem guten Freund im Wohnzimmer“, fasst Torba zusammen, was die Lilie für viele Leute des Quartiers ist: ein Ort zum Wohlfühlen.