Rathaus Bremen – einzigartiger Arbeitsplatz im UNESCO-Weltkulturerbe

 

Sie schmücken Bremens Marktplatz, sind Wahrzeichen der Hansestadt und repräsentieren die Entwicklung bürgerlicher Autonomie: das 1405 errichtete Rathaus im Weserrenaissance- und Gotikstil sowie die steinerne Rolandstatue. Seit 2004 ist das Ensemble Weltkulturerbe der UNESCO – zum ersten Mal und weltweit bis heute einmalig wurde damit einem Rathaus diese Ehre zuteil. Bei einem Blick hinter die historischen Wände fällt auf: Hier wird nicht nur Politik gemacht – es ist ein Haus voller Leben und einmaliger beruflicher Perspektiven.

Text: Nicolas Schiffler 

Der Seiteneingang geht neben der imposanten Reiterstatue auf der Domseite des Rathauses fast ein wenig unter. Doch schon bei der Ankunft in der Eingangshalle wird deutlich, was Besucher im Inneren des UNESCO-Weltkulturerbes erwartet: prunkvolle Gemälde vergangener Bürgermeister sowie perfekt erhaltene, steinerne Skulpturen säumen den Weg entlang der schweren Marmortreppe ins erste Obergeschoss. Dafür, dass die kleinen und großen Kunstwerke im Rathaus erhalten bleiben und im Glanz erstrahlen, sind Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege verantwortlich. Mit Pinseln, hellen Leuchten sowie Handschuhen bewaffnete Experten ziehen Linien nach, beseitigen Unreinheiten und konservieren die Denkmäler. Aufgabe des Amtes ist es, den originalen Wert des Wahrzeichens zu pflegen und somit die Authentizität des UNESCO-Weltkulturerbes zu erhalten.

 

Auf dem Weg in die erste Etage verstärkt sich der leicht würzige Geruch von verarbeitetem Eichenholz und der Boden knarzt unter den Füßen. Das geschichtsträchtige Parkett wurde zuletzt im Jahr 2016 aufwendig repariert und neu verleimt. Aber noch ein anderer Duft findet den Weg in die Nase: der Geruch von gebratenem Gemüse. Die hauseigene Küche sorgt für das leibliche Wohl des Bürgermeisters und seiner Gäste. Das Bremer Rathaus ist übrigens das einzige in Deutschland, das Restaurantfachkräfte ausbildet.

 

„Jeden Tag ins Rathaus zu fahren und mit den vielen Menschen hier zusammenzuarbeiten, bereitet mir große Freude. Es ist wahnsinnig interessant, wichtigen Persönlichkeiten bei Staatsbesuchen, Veranstaltungen oder einem Empfang zu begegnen“, erzählt Mamadou Alpha Diallo von seiner Tätigkeit als Restaurantfachkraft im Weltkulturerbe. Nach Lebensabschnitten in Afrika, Spanien, Belgien und Dortmund kam er 2015 in die Hansestadt und fühlt sich pudelwohl.

„Die Menschen hier sind total freundlich – anders als in den Städten, in denen ich vorher gewohnt habe. Daher habe ich beschlossen, hier zu bleiben und meine dreijährige Ausbildung zu beginnen“, berichtet der 24-Jährige, der in seiner Freizeit leidenschaftlicher Fußballfan ist.

Auf einen Plausch mit dem Fürsten von Monaco

Aufgrund seines Berufs hat Diallo spannende Geschichten zu erzählen: „Es ist noch nicht lange her, da war das Staatsoberhaupt von Monaco zu Gast im Rathaus. Und genau wie ich spricht der Fürst Französisch. Der Bürgermeister hat uns gegenseitig vorgestellt und ich habe mich mit ihm in meiner Muttersprache unterhalten. Nach seinem Besuch ist Fürst Albert noch einmal in die Küche gekommen und hat sich persönlich von mir verabschiedet.“ Der Wahlbremer strahlt übers ganze Gesicht, als er an dieses Ereignis zurückdenkt.

 

Wird ein Staatsoberhaupt aus einem anderen Land empfangen, weht eine ausländische Nationalflagge an der Vorderseite des Rathauses im Wind. Hierfür verantwortlich ist der Hausmeister, der dann den imposanten holzverkleideten Dachboden betritt und mit einer von Hand betriebenen, quietschenden Drehkurbel die Fahnen am Rathaus hisst. Ist ein Staatsoberhaupt, ein Prominenter oder royaler Besuch im Bremer Rathaus zu Gast, wird dieses Ereignis von Birgitt Rambalski – der Chefin des Protokolls – minutiös vorbereitet und anschließend begleitet. „Bei besonderen Veranstaltungen, Zusammenkünften oder Staatsbesuchen schreiben wir Regie-Pläne und tauschen uns mit dem begleitenden Personal, den Medien sowie den Menschen hier im Haus aus. Dabei wird der Ablauf im Fünf-Minuten-Takt durchgeplant: Von der Abfahrt zu Hause über die Sitzordnung und kulturelle Gepflogenheiten bis hin zur Verabschiedung am roten Teppich“, berichtet die studierte Sozial- und Geisteswissenschaftlerin.

„Aktiv von Menschen genutzte Denkmäler, wie in Bremen, finden sich selten“

Bereits seit 1999 ist die ausgebildete Journalistin sowohl Protokollchefin des Senats als auch des Bürgermeisters. Eine Besonderheit: Da Bremen auch ein Bundesland ist, arbeiten Rambalski und ihr Team nicht nur mit den Protokollchefs sämtlicher Landeshauptstädte und Großstädte Deutschlands zusammen, sondern auch auf Länderebene mit den Verfassungsorganen des Bundes. Diese Ganzheitlichkeit gibt es nur in der Hansestadt. Gemeinsam mit ihrem Mann zog die gebürtige Frankfurterin vor über 20 Jahren nach Norddeutschland.

„In Bremen und insbesondere auf dem Marktplatz sind so viele gesellschaftliche Kräfte versammelt – das ist schon etwas Besonderes. Solche aktiv von Menschen genutzten Denkmäler findet man selten an anderen Orten auf der Welt“, schwärmt sie.

Angesprochen auf Ereignisse, die ihr besonders in Erinnerung geblieben sind, muss die Wahlbremerin nicht lange überlegen: „Zum 20-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit waren Vertreter aller fünf Verfassungsorgane der Bundesrepublik und Delegationen der Alliierten im Rathaus zu Gast. Da steckten über zwei Jahre harte persönliche Arbeit drin. Das war auch das einzige Mal, dass wir das Goldene Buch der Stadt außer Haus getragen haben – so konnten sich alle Bündnispartner eintragen“, erzählt die ehemalige Kulturreferentin. Zuhörer merken schnell: An ihrer anfänglichen Faszination, Politik aus der Nähe mitzuerleben, hat sich im Laufe der Zeit nichts verändert.

 

Erstmals 1260 wird die Stadt Bremen Mitglied in der Hanse, der ehemals mächtigen europäischen Schifffahrts- und Handelsvereinigung. Um an dieses namensgebende Bündnis für Bremen zu gedenken, hat sich die Stadt etwas einfallen lassen: Vier prächtige Modell-Kriegsschiffe hängen in der Mitte der oberen Rathaushalle von der Decke und erinnern an den Glanz sowie die Gefahren der früheren Schifffahrt. Nahezu täglich säubern Raumpfleger sowie Restaurateure die goldenen Verzierungen, Bilderrahmen und Türklinken im gesamten Gebäude. Mit einem speziellen Staubsauger befreien sie die Modell-Kriegsschiffe vom Staub und reinigen die mehrere hundert Jahre alten Teppiche im Rathaus. Bei Festlichkeiten richten sie die Räume her und polieren gemeinsam mit den Restaurantfachkräften Besteck und Gläser.

Arbeitsplatz für über 200 Menschen

Im Gegensatz zu anderen deutschen Regierungssitzen, wurden an dem Bremer Wahrzeichen keine Änderungen vorgenommen. Eine Begründung, das Rathaus und den Roland gemeinsam als Welterbe einzustufen, liegt für die UNESCO in seinem künstlerischen und stilistischen Wert als Zeichen für bürgerliche Selbstbestimmung und Marktrechte. Der Hauptgrund für die Auszeichnung selbst war aber ein anderer: Ausschlaggebend war die Initiative von Bremer Bürgern sowie die tägliche Arbeit und das Miteinander, das innerhalb der alten Mauern stattfindet. Hinter den historischen Türen sind rund 200 Menschen beschäftigt – knapp 90 davon in der Senatskanzlei.

 

Einer von ihnen ist der gebürtige Bremer Peter Lohmann. Nach einer Ausbildung zum Finanzbeamten und dem Besuch des zweiten Bildungsweges studierte er in Berlin Geschichte und arbeitete im Bundestag als Abgeordnetenmitarbeiter. Im Anschluss daran kehrte er der Millionenmetropole den Rücken, um zunächst als Referent für die Bremer Sozialsenatorin und später als Mitarbeiter in der Senatskanzlei in seine Heimat zurückzukehren – nur unterbrochen von einer weiteren Zwischenstation in der Bremer Landesvertretung der Bundeshauptstadt.

„Als ich 2011 zum zweiten Mal nach Berlin gezogen bin, ist mir mit der Zeit bewusst geworden, dass ich zurück in die Hansestadt möchte. Anders als in der Hauptstadt ist es in Bremen deutlich weniger anonym, das Tempo ist menschlicher. Von meinem Wohnhaus ist es nicht weit zum Bahnhof oder in die Innenstadt und gleichzeitig ist die grüne Lunge, der Bürgerpark, direkt vor der Tür“, berichtet der ehemalige freie Mitarbeiter des Weser Reports.

Seit einigen Jahren arbeitet der 53-Jährige im neu eingerichteten UNESCO-Welterbe-Team der Senatskanzlei. Dabei führt er Besuchergruppen durch das Rathaus, organisiert gemeinsam mit Kollegen die Welterbetage und plant ein Besucher- und Informationszentrum in der unteren Halle – und erfüllt dabei gleichzeitig einen wichtigen Vermittlungs- und Bildungsauftrag, der mit dem UNESCO-Welterbestatus erfüllt werden muss. „Im Grunde arbeite ich an der Schnittstelle von Verwaltung, Politik und Öffentlichkeit. Dabei kommen mir die Jeder-kennt-Jeden-Mentalität sowie die kurzen Wege in der Stadt zugute. Das macht Vieles leichter und unkomplizierter“, erläutert Lohmann. „Besonders viel Freude bereiten mir Rathausführungen, bei denen ich authentisch sein kann und merke, dass die vielen Geschichten und meine Sicht auf das Welterbe bei den Besuchern ankommen.“

Und diese Geschichten rund um dieses besondere Haus speisen sich zum Glück aus einem schier unendlichen Fundus. Denn seit über 600 Jahren setzen sich Menschen im Bremer Rathaus für die Belange der Stadt ein – das ist deutschlandweit einzigartig.