Gekommen, um zu bleiben: Architektur für Alle?!

 

Die neue Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus widmet sich der Situation von Frauen in  der Architektur. Wir haben mit den drei Kuratorinnen und Kuratoren Insa Meyer, Céline Schmidt-Hamburger und Christian von Wissel über ihren Werdegang, ihre Verbundenheit zu Bremen und die Gleichstellung der Geschlechter gesprochen.

Text: Nicolas Schiffler 

„Na, wenn Sie den Investoren nicht so schöne Augen machen würden, dann hätten wir das Angebot ja gar nicht.“ Ein flapsiger Satz wie dieser, meist von den Zitatgebern sogar belustigend gemeint, beschreibt eines der Kernprobleme unserer Gesellschaft: Sexismus. Die gleiche Behandlung der Geschlechter ist in Deutschland durch den dritten Artikel des Grundgesetzes definiert. Um dem Versprechen einer Demokratie, der Teilhabe für alle, gerecht zu werden und gleichzeitig die Verwirklichung der Geschlechtergerechtigkeit zu fördern, bedarf es einer kritischen Reflexion der bestehenden Umwelt. Die noch bis zum 12. März 2023 im Wilhelm Wagenfeld Haus beheimatete Ausstellung „Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Plan und Raum“ widmet sich einer kritischen Bestandsaufnahme der Situation von Frauen in der Architektur in Bremen – von 1945 bis heute. „Wir wollten Inhalte produzieren und ausstellen, die für die Stadt und die Gesellschaft einen Mehrwert bieten. Dabei war uns wichtig, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf Probleme aufmerksam zu machen, sondern ein Bewusstsein zu schaffen und Aufklärung zu betreiben“, berichtet Insa Meyer, Pressereferentin und Fachjournalistin Architektur sowie Kuratorin der Ausstellung.

 

Die Wahlbremerin studierte Architektur in Kassel, bevor sie 2018 zum zweiten Mal in die Hansestadt zog. Aus einem früheren Wirtschaftsstudium hatte die 46-Jährige bereits Kontakte in Bremen.

Die Stadt ist für Familien aufgrund der kurzen Wege zu Kitas, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten ideal“, schwärmt Meyer.

Nach einem Besuch der Ausstellung „Frau Architekt“ und dem Umzug in die Hansestadt kam ihr die Idee, geschlechterspezifische Rollenverteilungen in der Bremer Architekturszene genauer zu untersuchen. „Ich hätte mir zu Beginn nicht träumen lassen, dass aus meinen anfänglichen Gedanken eine Ausstellung im Wilhelm Wagenfeld Haus entsteht. Die Umsetzung des Projekts ist so gut gelungen, weil Bremen eben Bremen ist. Trotz des Charmes einer Großstadt, gibt es sehr dörfliche Strukturen und wahnsinnig viele Querverbindungen“, erzählt die Diplom-Ingeneurin Architektur.

Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen. 14.10.2022 bis 12.03.2023
Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen. 14.10.2022 bis 12.03.2023

Globetrotter trifft bewusste Entscheidung für Bremen

„Ich war damals noch relativ neu hier und habe gerade mit meiner Arbeit als wissenschaftlicher Leiter beim Bremer Zentrum für Baukultur begonnen, als Insa Meyer in der Tür stand und mir ihre Idee präsentierte. Ich war sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich Christian von Wissel. Seit knapp vier Jahren unterrichtet er zusätzlich das Fach „Stadttheorie“ an der School of Architecture. Der gebürtige Hamburger ist ebenfalls im Kuratorium der Ausstellung und in der Welt herumgekommen: Nach seinem Architekturstudium in Dresden und Berlin lebte und arbeitete er acht Jahre in Mexiko-Stadt. „Ich habe mich damals bewusst für Bremen entschieden. Gerade aus akademischer Perspektive bietet die Stadt einige Besonderheiten: Es gibt eine ganze Menge Einrichtungen wie verschiedene Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Trotzdem ist alles schnell und gut zu erreichen – anders als in anderen Städten“, sagt von Wissel. Die Errungenschaften von Frauen in der Architektur sind immens, werden aber in der Öffentlichkeit meist nicht gewürdigt oder sind gänzlich unbekannt. Hier setzt die Ausstellung an. Ziel ist es zudem, ein Bewusstsein für die Gleichberechtigung von Frauen zu schaffen.

 

Insgesamt sieben Kuratorinnen und Kuratoren sind an der Ausstellung „Architektur für Alle?!“ beteiligt – eine von ihnen ist auch Céline Schmidt-Hamburger. Nach einem Studium in Leipzig, schrieb sie sich 2018 in den Masterstudiengang „Stadt- und Regionalentwicklung“ an der Universität Bremen ein. In diesem Zusammenhang lernte die gebürtige Pfälzerin auch Christian von Wissel kennen – die beiden gründen 2020 den Podcast „Schall und Raum“. Mittlerweile leitet Schmidt-Hamburger Seminare zu feministischen Perspektiven an der Hochschule Bremen und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Karlsruhe.

„Trotz der neuen Tätigkeit in Karlsruhe, die zudem näher an meiner Heimat ist, war es für mich keine Option Bremen zu verlassen – dazu bin ich ein viel zu großer Fan der Stadt“, gesteht die 29-Jährige.

An der Ausstellung waren insgesamt über 130 Personen beteiligt: Durch die verschiedenen Kontakte und Backgrounds der Kuratorinnen und Kuratoren ist aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Veranstaltung geblickt worden. „In Bremen gibt es eine gelebte Offenheit, das haben wir auch in unserer täglichen Arbeit gemerkt. Es hat uns vieles erleichtert, schildert die Wahlbremerin. Insa Meyer ergänzt: „Die Zusammenarbeit im Team ist natürlich auch kontrovers abgelaufen, war dabei aber immer konstruktiv und produktiv. Das hat die gemeinsame Arbeit unheimlich bereichert.“

Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen. 14.10.2022 bis 12.03.2023
Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen. 14.10.2022 bis 12.03.2023

In Bremen: Anfänge der emanzipatorischen Bewegung

Bereits in den 1980er Jahren formierte sich in Bremen eine Frauenbewegung – eine damalige Besonderheit. In Anlehnung an diese Errungenschaften betrachtet die Ausstellung das Thema der Gleichstellung von Frauen im beruflichen Tätigkeitsfeld der Architektur. 1987 gründete sich der Verein „Frauenstadthaus“. Auf einer Videoleinwand berichten Zeitzeuginnen über Hindernisse und den damaligen Gründungsprozess. Ziel der Einrichtung ist es, geeignete Räumlichkeiten in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Kultur für Frauen zur Verfügung zu stellen. Wenige Jahre später wurde die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen (FOPA) ins Leben gerufen. Ihre Vision: Frauen als Beteiligte und Betroffene von Planung sichtbar und wirksam zu machen. „In der Ausstellung wollten wir auch Personen und Institutionen würdigen, wie die FOPA oder das Frauenstadthaus. Wir haben absichtlich einen Rundlauf konzipiert, um zu zeigen, wie sich die Gesellschaft in den Jahrzehnten weiterentwickelt hat. Im besten Fall blicken Besucherinnen und Besucher im Anschluss mit neuem Wissen auf die Anfänge der Ausstellung sowie der Frauenbewegung im Allgemeinen“, erklärt Schmidt-Hamburger.

 

In der Ausstellung erzählen Bremer Architektinnen anhand von persönlichen Erinnerungsstücken, Plänen und Modellen von ihrer Arbeit. Besonders eindrucksvoll vermittelt eine „Sexismusdusche“, welche Hindernisse auf Frauen einprasseln – in der Architektur und im Alltag. Mittlerweile bietet das Team Führungen durch die Schau an. Knapp drei Wochen lang haben sie jeden Tag an dem Aufbau gearbeitet – neben ihrem Beruf oder Studium. Besucherinnen und Besucher merken schnell: Es handelt sich bei der Ausstellung um eine Herzensangelegenheit. „Das machen wir definitiv wieder“, prophezeit auch Christan von Wissel mit einem Leuchten in den Augen.