"Ehrenamt und Bremen - das passt!"

 

Der Scheibenwischer summt und quietscht monoton, während er die Windschutzscheibe des Linienbusses von schweren Regentropfen befreit. Durch die beschlagenen Fenster im Inneren rückt ein großer silberner und sich drehender Stern ins Blickfeld. Meterhohe Produktionshallen, eine eigene Fahrstrecke zur Qualitätskontrolle sowie zahlreiche fertige Fahrzeuge, die bereit zum Weitertransport sind, befinden sich hinter den Zäunen eines der namhaftesten deutschen Automobilhersteller. Im Hintergrund prägen die Gebäude weltweit agierender Konzerne wie Atlas Elektronik und Rheinmetall Electronics die Skyline Sebaldsbrücks. Der wohl bekannteste Arbeitgeber im östlichen Stadtteil Bremens ist Mercedes-Benz – und genau dort sind wir mit Betriebsrätin Fortuna Yemane verabredet.

Text: Nicolas Schiffler 

Um 14 Uhr herrscht an Eingangstor 7 reger Verkehr: Es ist Schichtwechsel beim größten privaten Arbeitgeber in der Hansestadt. Durch das Gewusel auf dem Parkplatz strömen Menschen in alle Himmelsrichtungen – in den Feierabend oder zum Arbeitsplatz.

Rund 12.000 Menschen sind hier beschäftigt und stellen auf einer Fläche von 1.396.400 Quadratmetern in Höchstzeiten bis zu 400.000 Fahrzeuge im Jahr her. Die Größe des Werks entspricht ungefähr 400-mal dem Bremer Marktplatz. Der Standort in Sebaldsbrück fertigt elf verschiedene Auto-Modelle und damit die meisten Varianten innerhalb des Netzwerks von Mercedes-Benz. Für die C-Klasse und den GLC ist die Produktionsstätte das weltweite Kompetenzzentrum.

„Das Werk funktioniert wie eine kleine Stadt. Auf dem weitläufigen Gelände gibt es unter anderem ein Fitnessstudio, zwei Betriebsrestaurants und ein Geschäft mit Arbeitsbekleidung. Häufig fahre ich mit einem Fahrrad von A nach B“, erläutert Fortuna Yemane, als sie uns von der Einlasskontrolle abholt. In ihrem hell erleuchteten Büro angekommen, beginnt die Wahlbremerin zu erzählen. Schnell wird klar: Sie hat eine bewegte Vergangenheit. Bereits mit fünf Jahren ist die passionierte Golferin aufgrund eines Bürgerkriegs mit ihrer Familie aus Eritrea in die Stadt an der Weser geflohen.

„Mein Onkel ist schon einige Jahre vor uns nach Bremen gekommen und war von der Stadt und den Menschen von Anfang an begeistert. Ich weiß noch genau, wie er sagte, dass es hier ideal wäre, mit einer Familie zu leben“, erinnert sich die 39-Jährige zurück.

Von der Jugendvertretung in den Betriebsrat

Nach ihrer Schulzeit begann Yemane 2001 eine Ausbildung zur KFZ-Elektrikerin im Mercedes-Benz Werk Bremen. „Diese Entscheidung war logisch. Ich war schon immer handwerklich begabt und habe zu Hause Lampen angebracht, Teppiche ausgelegt und Kleinigkeiten repariert. Mein Onkel besitzt in Eritrea eine Automobilfirma – ich glaube, er hat mir nicht ganz uneigennützig die Ausbildung empfohlen“, schmunzelt die ehemalige Klassensprecherin. Nach der erfolgreichen Lehre und über acht Jahren in der Jugendvertretung von Mercedes-Benz, in der sie auch Vorsitzende war, wurde sie 2010 in den Betriebsrat gewählt. „Ich bin in meinem Beruf sehr selbstständig und habe viele Gestaltungsmöglichkeiten. Mitarbeitende sprechen mich an, wenn sie Hilfe brauchen und Fragen haben. Wenn ich sie daraufhin bei ihren Problemen unterstützen kann, erfüllt mich das sehr und ist ein schönes Gefühl“, erklärt die gebürtige Eritreerin, die sich auf die Themen Arbeitspolitik und -planung spezialisiert hat. Insgesamt arbeiten 39 Betriebsräte und Betriebsrätinnen im Werk Bremen.

Die TASSE – mehr als nur eine Begegnungsstätte

In ihrer Freizeit engagiert sich Yemane ehrenamtlich für ihr Herzensprojekt: die TASSE. „In der Begegnungsstätte in Bremen-Walle bekommen Wohnungs- und Obdachlose Menschen Frühstück und Mittagessen“, berichtet die Frohnatur. Darüber hinaus gibt es einen kleinen Fundus an Klamotten, aus denen sich Bedürftige etwas aussuchen dürfen, eine Dusche und eine Waschmaschine.

„Ich merke immer wieder: Ehrenamt und Bremen – das passt! Die Menschen in der Stadt haben ein gutes Gespür dafür und haben Lust zu helfen. Das ist wirklich einzigartig“, schwärmt sie.

Seit knapp drei Jahren hilft die Betriebsrätin regelmäßig bei der TASSE, die für viele Menschen mehr ist als bloß ein Treffpunkt. In Kooperation mit dem Bekleidungsgeschäft „HUDDY“ an der Bischofsnadel, ist die Modelinie „HOME IS WHERE THE MOIN IS“ entstanden. Das Besondere: 19,93 Prozent der erwirtschafteten Erlöse gehen als Spende der TASSE zu.

 

Mercedes-Benz unterstützt Yemane durch Freistellungen oder Artikel im Intranet – sowohl bei ihrem Herzensprojekt als auch bei ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin am Arbeitsgericht. „Nebenbei mache ich mich gerade selbstständig – auch das ermöglicht mir mein Arbeitgeber. Ich habe das Gefühl, in Bremen ist es sehr leicht, sich zu verwirklichen, weil hier die Wege kurz sind und es viele Anlaufstellen gibt“, schließt Yemane das gemeinsame Gespräch ab.