"Wann fährst du mal 20 Tonnen Kisten durch den Garten?"
Von der Autowerkstatt über die Grundschulküche in den Hafen.
Text: Michael Rudolph
Fingerspitzengefühl ist wichtig, Vorstellungskraft, die richtige Technik – vorsichtig holt sich Michaela Fraschke eine Papierrolle nach der anderen. Es darf nichts einreißen. Der Kunde muss zufrieden sein. Was klingt wie der Arbeitsalltag einer Kassiererin, Grundschullehrerin oder Origami-Spezialistin ist in Wirklichkeit der Alltag einer Staplerfahrerin in Bremen. Ihre Papierrollen kommen im Neustädter Hafen in Bremen an, sind bis zu 3,35 Meter hoch und drei Tonnen schwer und warten im Schuppen 22 darauf, verladen zu werden.
Hier, zwischen den meterhohen Zylindern aus empfindlichem Material, sitzt Michaela Fraschke am Steuer eines 52-Tonnen-Gabelstaplers, der sie in die Lage versetzt, Güter mit einer Traglast von bis zu 40 Tonnen zu transportieren. Ihr Einsatzgebiet ist der Neustädter Hafen mit einer Gesamtfläche von 1,1 Millionen Quadratmetern. Allein 210.000 Quadratmeter sind überdachte Lagerhallen, 450.000 Quadratmeter dienen als Freilagerfläche. Ein Netz von 18 Kilometern Gleisen verbindet das Areal. Hier wird rund um die Uhr entladen, beladen, gehoben, gerollt, gestapelt, gesichert, sortiert und kontrolliert. Kräne können hier Lasten bis zu 200 Tonnen heben. Michaela Fraschkes nächstes Ziel ist die Lizenz, einen Reachstacker zu lenken, ein Kranfahrzeug, das Container verladen kann. Je größer, desto herausfordernder.
„Gerade das Arbeiten mit Dimensionen, die im Privatleben kaum eine Rolle spielen, faszinieren mich. Wann fährst du mal 20 Tonnen-Kisten durch den Garten“, lacht Fraschke.
Vom Blaumann zur Kochschürze hin zur Hafenlogistik
Seit drei Jahren arbeitet sie bei BLG LOGISTICS, einem der führenden Logistikunternehmen unter anderem für den Umschlag von Schwergut und empfindlichen Waren. Der Weg der 44-Jährigen in die Hafenlogistik war nicht vorhersehbar. Ursprünglich ausgebildet als Auto-Mechanikerin, machte sie später eine zweite Lehre zur Köchin und arbeitete fünf Jahre lang in einer Grundschulküche. Doch die Faszination für schwere Maschinen hat sie nie losgelassen. „Ich habe den Blaumann vermisst“, sagt sie strahlend. Die erste Berührung mit der Logistik hatte sie in einem Lager für Autoteile, wo sie auch ihren Staplerschein machte. In Bremen erwartete sie dann eine neue Dimension: Gabelstapler, tonnenschwere Ladung, Arbeiten bei Wind und Wetter, Frühschicht, ein geschäftiger Hafenbetrieb.
Präzision bei jeder Bewegung
Mit ruhiger Hand und präzisem Blick navigiert sie zwischen 6 und 14 Uhr ihren Stapler millimetergenau durch die Halle. „Man braucht ein feines Gespür und gutes räumliches Sehen“, sagt sie. Die Arbeit mit den Papierrollen erfordert ein hohes Maß an Sorgfalt. Jeder Stoß, jede falsche Bewegung kann die empfindlichen Außenschichten beschädigen. „Bis zu zehn Lagen dürfen defekt sein, das ist einkalkuliert“, erklärt Fraschke. Mit geübtem Blick inspiziert sie jede Rolle auf Risse oder Feuchtigkeitsschäden. Kleinere Beschädigungen repariert sie mit Klebeband, größere werden „abgespeckt“: Die fehlerhafte Schicht wird mit einem Messer abgetragen, bevor die Rolle neu verklebt wird.
Vor der Halle wartet bereits ein Lkw. Zehn Rollen sollen verladen werden, und auch dabei ist Präzision gefragt. Die Papierrollen müssen so platziert werden, dass das Gewicht optimal verteilt ist. „Man muss schon genau drauf achten, dass man nicht zu weit oben oder unten greift“, sagt Fraschke, während sie eine der Rollen mit der großen Klammer ihres Staplers aufnimmt. Während der Lkw-Fahrer die Ladung sichert, dokumentiert sie den Zustand jeder Rolle mit Fotos. „Kommunikation ist alles“, betont sie. Besonders im hektischen Hafenbetrieb, wo Fahrer aus aller Welt ein- und ausfahren, ist die Zusammenarbeit entscheidend. „Wenn es nicht auf Deutsch oder Englisch geht, dann eben mit Händen und Füßen.“
Von Tankproblemen und kalten Wintern
Leicht war der Einstieg in den neuen Job nicht. Die großen Maschinen erforderten Übung, besonders der Holztransport mit den langen Staplergabeln war eine Herausforderung. Heute bewegt sie die Maschinen mit beeindruckender Leichtigkeit. „Irgendwann ist der Knoten geplatzt. Seitdem macht es mir nur noch Spaß.“ Aufhalten können sie nur technische Defekte. „Einmal bin ich einfach stehen geblieben, weil der Diesel aus war“, erinnert sich Fraschke. „Das war mir erst so peinlich, bis ich festgestellt habe, dass der Tankanzeiger, das Problem verursacht hatte.“ Auch die Witterung hat sie nicht abgeschreckt. „Eigentlich bin ich ein Sonnenmensch, aber jetzt habe ich meinen dritten Winter mit Wind und Wetter problemlos überstanden“, sagt sie.
Zukunftspläne mit großen Maschinen
Wie es für sie weitergeht? Fraschke hat klare Vorstellungen: „Ich möchte am liebsten alle Geräte ausprobieren.“ Ihr nächstes Ziel ist die Ausbildung auf einer Zugmaschine, was ihre Einsatzmöglichkeiten erweitern würde. Eine Führungsposition reizt sie nicht, sie sieht sich als Spezialistin am Gerät. „Ich bin am liebsten direkt dabei.“ In einer Branche, die noch immer von Männern dominiert wird, hat sie sich längst ihren Platz erarbeitet. „Aber noch mehr tolle Kolleginnen direkt im Hafen wären auch prima“, merkt sie an und lotst mit ihrem Stapler die nächste Papierrolle durch Schuppen 22.